Intergeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff für verschiedene, angeborene Variationen der Geschlechtsmerkmale, die sich von der Medizin und der Gesellschaft definierten Vorstellungen von männlich oder  weiblich unterscheiden – eben intergeschlechtlich.

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Die wichtigsten Fakten
  • Intergeschlechtliche Menschen werden mit Geschlechtsmerkmalen

    geboren, welche gleichzeitig weiblich und männlich, nicht ganz weiblich oder männlich oder weder weiblich noch männlich sind.

  • Intergeschlechtlichkeit kann anatomisch, hormonell, chromosomal oder genetisch bedingt sein.

  • Intergeschlechtlich sein hat nichts zu tun mit der Geschlechtsidentität, also damit, ob ein Mensch sich als Frau/Mädchen, Mann/Junge identifiziert oder eine nichtbinäre Geschlechtsidentität hat.

  • Eine medizinische Behandlung, beispielsweise ein chirurgischer Eingriff oder eine hormonelle Behandlung ist meistens erst dann zumutbar, wenn das Kind alt genug ist bzw. urteilsfähig ist, um eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung für sich selbst zu treffen.

  • Selten ist eine  medizinische Behandlung in den ersten Jahren nach der Geburt lebensnotwendig oder für die Gesundheit dringend. Das hängt von der intergeschlechtlichen Variation ab. Immer noch finden in der Schweiz ungerechtfertigte chirurgische Eingriffe oder hormonelle Behandlungen statt.

Menschen, die mit einer intergeschlechtlichen Variation geboren werden, haben körperliche Merkmale, die sich von der üblichen, v.a. medizinischen Definition eines weiblichen oder männlichen Körpers unterscheiden. Intergeschlechtlichkeit bezieht sich auf ein breites Spektrum der Geschlechtsmerkmale: Variationen der Genitalien, der inneren oder äusseren Geschlechtsmerkmale und/oder der Fortpflanzungsorgane, der Hormonfunktion und der Chromosomen.
Das Gegenteil von intergeschlechtlich ist endogeschlechtlich.

Bei Menschen sind die Geschlechtsmerkmale sehr unterschiedlich. Es gibt keine zwei Körper, die ihr Geschlecht auf völlig identische Weise zum Ausdruck bringen. Und für intergeschlechtliche Menschen gilt das ebenso wie für endogeschlechtliche Menschen..

Wir können eine Hormonproduktion haben, die mehr oder weniger stark ausgeprägt ist, wir können Geschlechtsorgane haben, deren Aussehen eher einer Vulva (mit ihren inneren und äusseren Schamlippen) oder eher einem Hodensack, eher einer Klitoris oder eher einem Penis ähnelt. Wir haben Keimdrüsen, die sich manchmal innerhalb des Unterleibs befinden (seien es Eierstöcke oder Hoden), manchmal nicht. Manchmal haben wir ein Fortpflanzungssystem, das es uns ermöglicht, Gameten zu produzieren und biologische Kinder zu haben, manchmal geht das nicht. Manchmal ist die Intergeschlechtlichkeit anatomisch sichtbar, manchmal ist sie es nicht.

Über die Häufigkeit von intergeschlechtlichen Variationen ist sich die Medizin nicht einig. Es gibt auch intergeschlechtliche Variationen, die sich erst in der Pubertät oder im Erwachsenenalter bemerkbar machen. Die Medizin versucht, die Häufigkeit möglichst als extrem gering anzugeben.
Intergeschlechtlichkeit ist aber eine natürliche biologische Entwicklung der Geschlechtsmerkmale, die schätzungsweise bei 1 bis 2 von 100 Geburten auftritt. Das entspricht in der Schweiz ungefähr der Bevölkerung der Städte Bern oder
Lausanne.

Für jede der Ebenen der Geschlechtlichkeit kann es eine damit verbundene intergeschlechtliche Variation geben. Diese kann mit den Chromosomen, den Genen, den Keimdrüsen, der Hormonproduktion und -aufnahme durch den Körper, der Grösse und Form der Geschlechtsorgane, dem Fortpflanzungssystem und seiner Funktionsweise sowie der Pubertät und ihren Auswirkungen zusammenhängen. Bei intergeschlechtlichen und endogeschlechtlichen Menschen verläuft die biologische Entwicklung in denselben Stufen.

In den ersten Wochen nach der Verschmelzung des Spermiums mit der Eizelle entwickeln sich die Genitalien eines Fötus auf die gleiche Weise, unabhängig vom späteren biologisch-anatomischen Geschlecht des Kindes. In der 7. Woche beginnen sich die Genitalien unter dem Einfluss von Hormonen zu entwickeln. Wenn z. B. eine Variation der Hormonfunktion vorhanden ist, dann reagiert der Fötus nicht oder nur teilweise auf die Hormone – und das kann zu einer intergeschlechtlichen Variation führen. Auch gibt es Genmutationen, die zur Geburt eines Kindes mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale führen.

Wie bei allen anderen Kindern ist bei der Geburt des Kindes nicht bekannt, mit welcher Geschlechtsidentität (Frau/Mann/Nichtbinär) sich die Person später identifizieren wird. Eine mehr oder weniger wahrscheinliche und vermutete Geschlechtsidentität im Jugend- oder Erwachsenenalter rechtfertigt einen irreversiblen, chirurgischen und nicht verhältnismässigen Eingriff keinesfalls. Einen «dritten» Geschlechtseintrag nur für intergeschlechtliche Kinder lehnen wir ab. Die Eltern können aber einen neutralen Vornamen wählen oder mehrere.

Eine «dritte Option» sollte nicht aufgrund der Geschlechtsmerkmale einer Person zugewiesen werden, sondern nur auf den Wunsch des Kindes hin. Dies ist Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts.

Wir ermutigen Eltern, untereinander zu besprechen, wie sie mit Personen in ihrem persönlichen Umfeld über die Intergeschlechtlichkeit ihres Kindes sprechen wollen. Sie dürfen gerne mit uns und unserer Elterngruppe Kontakt aufnehmen.

Für spezifischere Informationen steht Ihnen ein Leitfaden für Eltern unter diesem Link zur Verfügung.

Nein, Intergeschlechtlichkeit ist kein Gesundheitsproblem und keine Krankheit, Ausnahmen sind selten. Sie ist ein normales biologisches Ereignis. Bei gewissen Variationen der Geschlechtsmerkmale ist eine medizinische Beratung im Interesse des Kindes, wichtig oder sogar lebensnotwendig.
Solange ein Kind nach der Geburt keine dringende medizinische Versorgung oder keine lebensnotwendige oder dringende Behandlung im Zusammenhang mit seiner intergeschlechtlichen Variation benötigt, ist ein medizinischer Eingriff nicht zweckmässig. In den allermeisten Fällen ist ein Eingriff zur Veränderung der Geschlechtsmerkmale überflüssig und verursacht Traumata oder Komplikationen, die sich langfristig negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Kindes auswirken.

Nein, eine intergeschlechtliche Variation haben, ist aus der Sicht der Kinder kein Notfall. Für Eltern ist es jedoch nicht einfach – das wissen wir aus eigener Erfahrung sehr gut. Eltern benötigen möglicherweise psychologische Unterstützung oder möchten mit Menschen Kontakte knüpfen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, um ihre Ängste und Fragen zu teilen. Psychologische Betreuung wird häufig von Krankenhäusern angeboten, die intergeschlechtliche Menschen behandeln. Die psychologische Beratung muss aber nicht zwingend in einem Krankenhaus stattfinden. Wichtiger ist, dass Sie als Eltern von einer Fachkraft begleitet werden, die kompetent und Ihnen und Ihrem Kind gegenüber wohlwollend ist.

Für spezifischere Informationen steht Ihnen der Leitfaden für Eltern unter diesem Link zur Verfügung.

 

  • Vor der Geburt, mittels pränatal-diagnostischer Untersuchungen.

  • Die Schwangere hat das Recht, zu entscheiden, ob sie das Geschlecht ihres Kindes erfahren möchte oder nicht.

  • Bei der Geburt, wenn die Unterschiede der Genitalien bemerkt werden (körperliche Untersuchung).

  • Nach der Geburt, durch molekulargenetische oder vertiefte genetische Untersuchungen.

  • In der Pubertät, wenn körperliche Veränderungen zu früh, unerwartet oder gar nicht auftreten.

  • Wenn sich deine sekundären Geschlechtsmerkmale nicht wie erwartet entwickeln.

  • Im Erwachsenenalter, wenn z. B. wegen Unfruchtbarkeit oder aus anderen Gründen Unterschiede der inneren Geschlechtsmerkmale bemerkt werden.

  • Im Erwachsenenalter, wenn du erfahren hast, dass chirurgisch-hormonelle Behandlungen in der Kindheit vertuscht wurden

    oder auch zufällig bei Operationen im Bauchraum oder bei Screening-Untersuchungen.

  • Intergeschlechtliche Variationen sind sehr zahlreich und vielfältig. Deshalb musst du dich nicht «weniger intergeschlechtlich» oder weniger legitimiert fühlen als andere intergeschlechtliche Menschen. Wenn deine persönlichen Erfahrungen mit deinem Intergeschlechtlich-Sein nicht mit anderen intergeschlechtlichen Menschen übereinstimmen, deren Geschichte oder Variation du kennst, bist du nicht weniger intergeschlechtlich. Unabhängig davon, ob deine Variation deine Geschlechtsmerkmale eine oder mehrere Ebenen* betrifft, hast du die gleiche Legitimität.

  • Nicht alle intergeschlechtlichen Menschen haben medizinische Diagnosen oder Aufzeichnungen über vergangene chirurgisch-hormonelle Behandlungen.


    * Mit «Ebenen» meinen wir deine Chromosomen, deine Gonaden, deine Hormonfunktion, deine Fortpflanzungsorgane, das Aussehen deiner Geschlechtsorgane, deine Pubertät usw.
     

  • Hinweise für Eltern

  • Häufige Fragen

  • Entscheidungen bei medizinischen Eingriffen treffen

  • Mit Ihrem Kind über Intergeschlechtlichkeit sprechen

  • Mit anderen reden

  • Fragen, die andere Menschen stellen können

  • Mit Lehrer*innen, Ärzt*innen und anderen Fachleuten über die Intergeschlechtlichkeit Ihres Kindes sprechen



Sprache

Wir verwenden im öffentlichen Sprachgebrauch nur den Begriff intergeschlechtlich bzw. Intergeschlechtlichkeit oder Variationen der Geschlechtsmerkmale.
Die Abkürzung «inter*» wird in Deutschland und Österreich häufig verwendet. InterAction verwendet diese Abkürzung in der öffentlichen Kommunikation bewusst nicht. Menschen mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale sollen allein entscheiden können, wie sie sich sprachlich benennen - «inter*» ist also eine Selbstbezeichnung und nicht eine Fremdbezeichnung.

Sprache und das Reden im öffentlichen Raum über andere Menschen ist auch politisch und kann verletzen («Hate Speech»). Das gilt auch in sozialen Medien. Mit den Begriffen intergeschlechtlich bzw. Intergeschlechtlichkeit oder Variation der Geschlechtsmerkmale wollen wir zum Ausdruck bringen, dass wir als intergeschlechtliche Frauen, Männer, Kinder oder als intergeschlechtliche nichtbinäre oder genderfluide Menschen auch ein Geschlecht haben  – und nicht nur ein Anhängsel oder Wortbildungselement sind. Eine nicht-intergeschlechtliche Person wird als endogeschlechtlich bezeichnet.

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